Mitrofor-Protopresbyter Anfir Ostaptschuk wurde am 18. August 1932 während des Holodomor in Pekarschtschyna, Gebiet Schytomyr, in der Familie des orthodoxen Priesters Damian Ostaptschuk und seiner Ehefrau Thekla Ostaptschuk, geb. Prokoptschuk geboren. Er hatte drei ältere Schwestern.
Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges lebte die Familie Ostaptschuk im Heimatdorf. Nach der Besetzung der Ukraine durch die deutschen Truppen siedelte die Familie im Jahre 1941 in die Kreisstadt Tschernjachiw über, in der Vater Damian Vorsteher der neu gegründeten ukrainischen orthodoxen Gemeinde wurde. Ende 1943 infolge der Kriegsereignisse musste die Familie wegen der Verfolgung der Geistlichen und der Kirche durch die Sowjets aus der Heimat flüchten und traf Anfang 1944 in Deutschland ein.
In der Nachkriegszeit von Mai 1945 bis 1956 lebte die Familie in Lagern für Flüchtlinge in Bielefeld, in Höxter an der Weser und in Augustdorf bei Detmold und ab 1958 in der Beckhofsiedlung bei Bielefeld-Sennestadt. Dort wurden die aus den osteuropäischen Ländern und dem Baltikum stammenden Flüchtlinge des Lagers Augustdorf untergebracht. In dieser Siedlung wurde eine ukrainische orthodoxe Kirche eingerichtet.
Von 1946 bis 1949 besuchte Vater Anfir die ukrainische Mittelschule im ukrainischen Flüchtlingslager in Bielefeld. Anfang 1952 kam die Familie aus Höxter nach Augustdorf bei Detmold. Von dort aus besuchte er von 1952 bis 1956 das Grabbe-Gymnasium in Detmold.
Nach dem Abitur nahm Vater Anfir das Studium am Dolmetscherinstitut der Universität Heidelberg in den Fächern Englisch, Russisch und Wirtschaft auf, das er mit dem akademischen Grad eines Diplom-Übersetzers im Mai 1961 absolvierte. Danach war er bis Ende 1968 am US-Generalkonsulat in Frankfurt am Main als Übersetzer tätig, anschließend von 1969 bis August 1997 bei der Deutschen Welle in Köln als Übersetzer und Redakteur.
Im August 1964 heiratete er Dina Jacenko, Tochter der ukrainischen Lehrer Hryhorij und Warwara Jacenko. In dieser Ehe wurden drei Kinder geboren. Nach dem Wechsel des Arbeitgebers Ende 1968 lebte die Familie Ostaptschuk von 1969 bis 1974 in Rösrath und danach wurde die Stadt Bergisch Gladbach zu ihrem ständigen Wohnsitz.
Am 14. September 1968 wurde Vater Anfir vom Metropoliten der Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche im Exil (UAOK), Erzbischof Nikanor (Abramowycz), in seiner Residenz in Karlsruhe zum Diakon und einen Tag danach zum Priester geweiht und zum Pfarrer der verwaisten Gemeinde seines im August 1968 verstorbenen Vaters, Erzpriester Damian, in Bielefeld-Sennestadt ernannt. Ab 1972 betreute Vater Anfir auch die ukrainischen Gemeinden in Düsseldorf, Köln, Essen und Frankfurt am Main.
Seit seiner Jugend beteiligte sich Vater Anfir am Gemeindeleben, assistierte seinem Vater Damian bei den Gottesdiensten und Riten und sang in Kirchenchören. Durch dessen praktische und theologische Anleitung wurde Vater Anfir auf seinen priesterlichen Dienst vorbereitet. Vor der Priesterweihe nahm er an den theologischen Kursen der Ukrainischen Freien Universität in München teil. Er interessierte sich für die Geschichte der ukrainischen Orthodoxie, verfasste Beiträge über ihr Leben in der Vergangenheit und Gegenwart.
Seine seelsorgerische Tätigkeit war eng mit dem Leben der Kirche verbunden. Im Dezember 1956 nahm er zusammen mit Vater Damian am I. Konzil der UAOK in Karlsruhe als Delegierter und an den folgenden späteren Konzilien als Priester teil und wurde in die Leitungsorgane der Metropolie der UAOK gewählt. Erwähnenswert ist das Außerordentliche Konzil der UAOK im Oktober 1969 in Ottobrunn, an dem er bereits als Priester teilgenommen hat. Das Konzil wurde einberufen, um einen Nachfolger für den im März 1969 verstorbenen Metropoliten Nikanor (Abramowycz) und einen Vikarbischof für die bischöfliche Betreuung der Gemeinden in Deutschland, Österreich, Frankreich, Belgien sowie in anderen Ländern Westeuropas zu wählen. Das Konzil wählte den Erzbischof von New York Mstyslaw (Skrypnyk) zum neuen Oberhaupt der UAOK und den Archimandriten Orest (Onufrij Iwaniuk) zum Vikarbischof.
Ein wichtiges Ereignis für die Eparchie war die Eparchialtagung am 15. und 16. September 1979, die von der Düsseldorfer Gemeinde und ihrem Pfarrer Vater Anfir durchgeführt wurde. Auf dieser Tagung wurden neue Gemeindestatute beschlossen sowie die Mitglieder der Kirchenverwaltung der Eparchie unter der Leitung von Bischof Orest gewählt. Zu seinen beiden Stellvertretern wurden Archipresbyter Paladi Dubitsky und Vater Anfir gewählt. Ferner wurde ein Komitee zur Vorbereitung der Feierlichkeiten anlässlich des Millenniums der Taufe der Kyjiwer Rus - Ukraine im Jahre 988 durch den heiligen und apostelgleichen Fürsten Wolodymyr den Großen gebildet. Die zentrale Milleniumsfeier für Deutschland fand am 20. März 1988 in der orthodoxen Kirche Heiliger Nikolaus in Düsseldorf-Wersten statt.
Im Auftrag des Bischofs Anatolij Dubljanskyj hatte sich Vater Anfir mit Erfolg um die Aufnahme der Ukrainischen Orthodoxen Eparchie von Westeuropa in die im Jahre 1994 gegründete Kommission der Orthodoxen Kirche(n) in Deutschland (KOKiD) bemüht. Die Aufnahme wurde einstimmig von allen Mitgliedern dieses Diözesanverbandes auf dessen Sitzung in Köln am 13. September 1997 beschlossen. Im Auftrag des Metropoliten Anatolij und seiner Nachfolger, Erzbischof Ioan Derewianka und Bischof Andrij Peschko, fungierte Vater Anfir als Ständiger Vertreter der Ukrainischen Orthodoxen Eparchie von Westeuropa in diesem Verband der Diözesen. Nach 16 Jahren wurde Anfang 2010 als Nachfolgeorganisation die Orthodoxe Bischofskonferenz in Deutschland (OBKD) gebildet, der auch die Ukrainische Orthodoxe Eparchie von Westeuropa angehört.
1980 wurde Vater Anfir von Erzbischof Orest in den Rang des Erzpriesters erhoben und 1986 erhielt er von Metropolit Anatolij Dubljanskyj die Erlaubnis das Schmuckkreuz zu tragen. Anfang Oktober 1997, kurz vor dessen Tode, wurde Vater Anfir von Metropolit Anatolij zum Administrator der Ukrainischen Orthodoxen Kirche in Deutschland bestellt. Während der Totenmesse für den verstorbenen Metropoliten Anatolij am 6. November 1997 in Neu-Ulm erhielt er von Seiner Seligkeit, dem Metropoliten der Ukrainischen Orthodoxen Kirche in den USA und der Diaspora, Konstantin (Bugan), die Erlaubnis Mitra zu tragen. Im Jahre 2000, am 22. Oktober, wurde Vater Anfir während der Liturgie in der ukrainischen Kirche zum Heiligen Erzengel und Strategen Michael im ostbelgischen Genk von Metropolit Konstantin in den Rang des Protopresbyters erhoben.
Nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit der Ukraine am 24. August 1991 begann ein neuer Abschnitt im Leben von Vater Anfir. Erstmals nach der Flucht der Familie im Jahr 1943 besuchte Vater Anfir die Ukraine am 18. Oktober 1991 als Dolmetscher einer deutschen Regierungsdelegation mit dem damaligen Vizekanzler und Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher an der Spitze. Seitdem war er als Dolmetscher bei der Entwicklung und Festigung der deutsch-ukrainischen Beziehungen in verschiedenen Bereichen beider Länder im Einsatz.
Besondere Ereignisse waren der erste Staatsbesuch des ukrainischen Präsidenten Leonid Krawtschuk am 4. Februar 1992 in Bonn sowie seine Gespräche mit Bundeskanzler Helmut Kohl, Bundespräsident Richard von Weizsäcker sowie Bundesministern; Besuche des Außenministers der Ukraine Anatolij Zlenko in Bonn und seine Gespräche mit Hans-Dietrich Genscher auf dem Petersberg. Es folgten viele weitere Begegnungen offizieller Vertreter beider Länder und Treffen ukrainischer Minister mit deutschen Amtskollegen, darunter mit der späteren Kanzlerin Angela Merkel, bei denen Vater Anfir als Sprachmittler tätig war.
Anlässlich des 5. Jahrestages der Unabhängigkeit der Ukraine am 24. August 1996 würdigte Präsident Leonid Kutschma mit einer Dankesurkunde Vater Anfir für seinen "großen persönlichen Beitrag zur Entwicklung der unabhängigen Ukraine". Anlässlich des 5. und 10. Jahrestages der Unabhängigkeit der Ukraine (1996 und 2001) wurde Vater Anfir von den Botschaftern der Ukraine in Deutschland Jurij Kostenko und Anatolij Ponomarenko mit Ehrenurkunden für „einen bedeutenden persönlichen Beitrag zur Festigung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen der Ukraine und der Bundesrepublik Deutschland“ gewürdigt.
Ein besonderes Ereignis war auch die Segnung der Botschaft der Ukraine und der Residenz des Botschafters in Berlin am 28. Dezember 2000 durch Vater Anfir mit Beteiligung des ukrainischen griechisch-katholischen Amtsbruders Wasyl Worotniak. Aus der Übersetzungsarbeit von Vater Anfir ist die 1970 von der Ukrainischen Freien Universität in München herausgegebene deutsche Übersetzung einer Arbeit von Professor Dr. Natalia Polonska-Wasylenko mit dem Titel „Zwei Konzeptionen der Geschichte der Ukraine und Russlands“ zu erwähnen.
Im Jahre 1988 wurde eine gekürzte deutsche Übersetzung der 1940 in Berlin erschienenen Abhandlung des ukrainischen Historikers Dmytro Doroschenko mit dem deutschen Titel: „1000 Jahre Ukrainische Orthodoxe Kirche, Ihre Rolle im Leben des ukrainischen Volkes“ von der Kirchenverwaltung der UAOK herausgegeben. Diese Milleniumsschrift wurde von der UAOK in Großbritannien in englischer Übersetzung mit dem Titel “The Orthodox Church in the Life of the Ukrainian People” herausgegeben. Eine niederländische Übersetzung erschien in der Zeitschrift „Terra Sancta“ mit dem Titel „Duizend Jaar Oekraїense Orthodoxe Kerk, haar rol in het leven van het Oekraїense volk“.
Im Auftrage seiner Bischöfe und aus eigener Intiative beteilige sich Vater Anfir an ökumenischen Gottesdiensten, Konferenzen, Tagungen sowie an weiteren verschiedenen ökumenischen Veranstaltungen.
Vater Anfir Ostaptschuk widmete sein Leben dem Dienst an den Menschen und der Bewahrung der Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche im Exil und später dem langen Weg, dessen Ziel die Schaffung einer ukrainischen orthodoxen Landeskirche in der Ukraine war. Er war glücklich erlebt zu haben, dass der Ukraine von ihrer Mutterkirche, dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel, im Jahr 2019 ein Tomos über die kirchliche Autokephalie verliehen wurde und in der Heimat die Orthodoxe Kirche der Ukraine geschaffen wurde.
Mitrofor-Protopresbyter Anfir Ostaptschuk ist am 10. Dezember 2021 in Bergisch Gladbach verstorben.
Ewiges Gedenken, ewige Ruhe und das Himmelreich werde ihm zuteil!