Am Samstag, den 24. Oktober 2009, hat Erzbischof Ioan Derewianka in Karlsruhe eine Göttliche Liturgie in der Alt-Katholischen Kirche Christi-Auferstehung gefeiert, in der die ukrainische orthodoxe Gemeinde seit dem Jahre 1946 ihre Gottesdienste abhält.
Bei der Heiligen Liturgie assistierten dem Erzbischof Erzpriester Valentyn Smoktunowicz aus München sowie Protodiakon Oleg Jewsewskij. Die Choristen sangen unter Leitung des Gemeindepfarrers Valentyn Gawryliuk aus Neu-Ulm. Angereist waren auch Mitglieder aus den Kirchengemeinden München, Ingolstadt und Düsseldorf.
Nach der Heiligen Liturgie hielten Erzbischof Ioan und die Priester eine Totenandacht am Grab des Metropoliten Nikanor, der vor 40 Jahren in Karlsruhe in seiner Residenz verstarb. Erzbischof Ioan hielt ferner eine Andacht am Grab des Erzpriesters Theodor Luhowenko, der in Karlsruhe Gemeindepfarrer war und 1972 verstarb. (Siehe VIDEO von der Totenandacht)
Seine Seligkeit Metropolit Nikanor
Metropolit Nikanor (mit weltlichem Namen Nikanor Burczak-Abramowicz) wurde am 27. Juli (alten Stils) 1883 im Dorf Misow des früheren Kreises Kowel in Wolhynien geboren. Seine Vorfahren gehörten dem geistlichen Stande an. Der Metropolit ging zunächst in Misow zur Grundschule, dann in Macijow in eine Geistliche Schule und studierte dann am Wolhynischen Geistlichen Seminarium in Schytomyr. Nach Abschluss dieses Seminariums studierte er noch am Handelsinstitut in Kiew. Nach der Priesterweihe setze er seine theologischen Studien an der Kiewer Geistlichen Akademie und an der historisch-philologischen Fakultät der Hl. Wolodymyr-Universität in Kiew fort.
Seine Priesterweihe erhielt er am 23. Oktober 1910 in der Stadt Wolodymyr in Wolhynien vom Bischof von Wolodymyr-Wolynskyj, Fadej. Seinen priesterlichen Dienst übte er zunächst bei seinem Schwiegervater im Dorf Bilytschi aus. 1912 erhielt er auf seinen Wunsch die Gemeinde im Dorf Tyschkowytschi in Wolhynien. Von dort wurde er im Juni 1916 während des Ersten Weltkriegs nach Schytomyr evakuiert, wo er bis 1919 blieb. In Schytomyr nahm er sich der Betreuung von Flüchtlingen an. In der Zeit der ukrainischen Staatlichkeit organisierte er in Schytomyr das ukrainische Kirchenleben und war aktives Mitglied der Bruderschaft des Heiligen Erlösers, die sich unter anderem die Wiederbelebung der ukrainischen Traditionen in der orthodoxen Kirche zur Aufgabe gestellt hatte.
Wie durch ein Wunder konnte er sich vor der Erschießung durch die Bolschewisten retten, verließ im Sommer 1919 Schytomyr und wurde im Dorf Selce bei Wolodymyr als Gemeindepfarrer eingesetzt. In der damals neuorganisierten Eparchialverwaltung von Wolodymyr wurde Nikanor Abramowicz zum Sekretär bestellt und entfaltete eine breite Tätigkeit. Auf Initiative des Priesters Abramowicz und mit dem Segen des damaligen Bischofs der Wolhynischen Eparchie Dionisij (des späteren Metropoliten von Warschau) fand vom 3.-8. Oktober 1921 in der Potschajiwer Lawra die Wolhynische Eparchial-Synode statt, zu deren Vorsitzenden Abramowicz gewählt wurde, der auch während dieser Synode eine Liturgie in ukrainischer Sprache gefeiert hatte. Es war die erste Göttliche Liturgie in ukrainischer Sprache im dem Teil Wolhyniens, der zu Polen gekommen war.
Das scharfe Memorandum der Geistlichen Verwaltung in Wolodymyr an die Synode der Orthodoxen Kirche in Polen, in der auf die Notwendigkeit einer Ukrainisierung der Kirche hingewiesen wurde, führte zur Schließung der Geistlichen Verwaltung und Bestrafung deren Leiter. Ungeachtet dessen setzte Abramowicz, der 1924 den Rang eines Erzpriesters erhielt, die Ukrainisierung der Kirche aktiv fort. In diesem Zusammenhang und auf Forderung antiukrainischer Kräfte leitete die Kirchenführung Untersuchungen gegen Abramowicz ein, die über zwei Jahre dauerten und im Februar 1927 eingestellt wurden. Erzpriester Abramowicz wurde von allen Beschuldigungen entlastet.
Als aber die ukrainischen Gemeinden von der Kirchenführung verlangten, Erzpriester Abramowicz zum Bischof zu weihen, verbannte ihn die Synode im März 1928 in das Dermanskij-Kloster wegen angeblichen kirchlichen Ungehorsams, denn er fuhrt fort, Gottesdienste in ukrainischer Sprache abzuhalten. Drei volle Jahre verbrachte Erzpriester Abramowicz im Kloster und wurde freigelassen, als im Kloster selbst sich eine Bewegung für die Ukrainisierung der Gottesdienste bildete, die wiederum von den Kirchenbehörden auf die Tätigkeit des Erzpriesters Abramowicz zurückgeführt wurde.
Nach der Freilassung aus dem Kloster wurde Erzpriester Abramowicz zum Vorsteher der orthodoxen Gemeinde im Dorf Kywerci bei Luzk ernannt. Luzk war in der Zeit das Zentrum des ukrainischen orthodoxen Kirchenlebens in Wolhynien und Erzpriester Abramowicz beteiligte sich aktiv an der Arbeit des Luzker Unterausschusses zur Übersetzung der Heiligen Schrift und liturgischer Bücher ins Ukrainische und war Mitglied der Metropolit Petro Mohyla-Gesellschaft. Am 26. Oktober wurde Erzpriester Abramowicz zum Dekan im Kreis Kowel ernannt. In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg führte er eine vollständige Ukrainisierung des kirchlichen Lebens in seinem Dekanat durch. In jenem Dorf verbrachte er die erste sowjetische Besatzung Wolhyniens in den Jahren 1939-1941.
Übersetzung des ukrainischen Textes der Bescheinigung:
Erzbischof von Warschau und Metropolit der Heiligen Autokephalen Orthodoxen Kirche im Generalgouvernement
Den 10. Mai 1944, Bescheinigung Nr. 702 Warschau, Sigismundstrasse 13
Hiermit bestätige ich, dass Nikanor, Erzbischof von Kyjiv und Tschyhyryn - aus dem Bestand der UAOKirche - mit meinem Segen die kanonische Chirotonie am 9. Februar 1942 in der Stadt Pinsk erhielt, und mit mir und mit den Allheiligen Orthodoxen Patriarchen in kanonischer Vereinigung bestehend, zum Episkopat der Hl. Oekumenischen Orthodoxen Kirche gehört.
(gez.) Dionisij Metropolit von Warschau (Siegel:) Mit der Gnade Gottes Metropolit von Warschau
Nachdem die ukrainischen Gebiete frei von Bolschewisten waren entstand die Möglichkeit, das Kirchenleben in der Zentral- und Ostukraine wiederzubeleben. Es entstand die Frage der Notwendigkeit der Weihe neuer Bischöfe, und einer der ersten Kandidaten für ein Bischofsamt war Erzpriester Abramowicz. Mit dem Segen des Metropoliten von Warschau Dionisij, dem Oberhaupt der Orthodoxen Kirche, zu deren Klerus Erzpriester Abramowicz gehörte, wurde Erzpriester Abramowicz, der zuvor in den Mönchsstand trat und Archimandrit wurde, in Pinsk am 9. Februar 1942 zum Bischof geweiht. Die Weihe vollzogen die Erzbischöfe Oleksander von Pinsk und Polikarp von Luzk und Kowel sowie Bischof Jurij von Brest gemäß den Regeln der Heiligen Orthodoxen Kirche.
Bischof Nikanor wurde für Kiew geweiht, wo er am 13. März 1942 eintraf und am 16. März auf einer Synode in der Andreas-Kirche für den Kiewer Bischofsstuhl gewählt wurde. Am 19. März 1942 vertrauten die Gläubigen und führenden Vertreter der Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche (UAOK) Bischof Nikanor die Leitung dieser Kirche an. Gleichzeitig wurden aufgrund des Verbots der Tätigkeit des Gesamtukrainischen Orthodoxen Kirchenrates durch die Besatzungsmacht deren Mitglieder in die Hauptkirchenverwaltung beim Bischof integriert. Während dieser Zeit weihte Bischof Nikanor in Kiew für die UAOK acht Bischöfe, 187 Priester und er organisierte allein im Gebiet Kiew 580 ukrainische orthodoxe Gemeinden. Auf Beschluss der Bischofssynode, unter Beteiligung von Vertretern des Klerus und der Gläubigen, wurde Bischof Nikanor am 17. Mai 1942 in den Rang des Erzbischofs von Kiew und Tschyhyryn erhoben. Die Tätigkeit des Bischofs Nikanor in Kiew fand in der Kriegszeit unter sehr schwierigen Bedingungen, bei voller Ablehnung, ja sogar Feindseligkeit der NS-Besatzungsbehörden statt.
Am 25. September 1943 war Erzbischof Nikanor gezwungen, Kiew in Richtung Westen zu verlassen. Nach einem kurzen Aufenthalt in Wolhynien reiste er auf Einladung des Metropoliten Dionisij nach Warschau, wo er sich in dessen Obhut befand und sich aktiv an der Bischofssynode der UAOK beteiligte, die dort im März-April 1944 tagte. In der Folgezeit kam er über die Slowakei 1944 nach Deutschland. Nach Kriegsende ließ er sich 1945 in Karlsruhe nieder und lebte dort bis zu seinem Tode.
Auf Beschluss der Bischofssynode der UAOK in München wurde Erzbischof Nikanor am 15. Mai 1947 zum stellvertretenden Metropoliten und zum Vorsitzenden der Bischofsynode der UAOK gewählt und auf der Bischofssynode der UAOK in Paris am 15. September 1952 zum Metropoliten der UAOK in Deutschland ernannt. Nach dem Tode des Metropoliten Polikarp wurde ihm am 22. Oktober 1953 vom außerordentlichen Konzil der UAOK in Paris der Titel des Metropoliten der UAOK in der Emigration verliehen.
Metropolit Nikanor leitete die UAOK in der Emigration 15 Jahre. Das wichtigste Ereignis in jener Zeit war das Konzil der UAOK, das vom 16.-18. Dezember 1956 in Karlsruhe stattfand. Von dem Konzil wurden unter Leitung des Metropoliten Nikanor wichtige Beschlüsse gefasst und unter anderem das neue Statut der UAOK in der Diaspora angenommen.
Neben seiner seelsorgerischen Tätigkeit war Metropolit Nikanor seit 1948 Leiter des Theologischen Instituts der UAOK. Mit dem Erscheinen der Zeitschrift Ridna Cerkwa im September 1952 übernahm er die Leitung der Redaktion. Unter seiner Leitung erschien 1949 das Messbuch und 1950 das Gebetbuch. Darüber hinaus verfasste und veröffentlichte Metropolit Nikanor viele Bücher, darunter das Standardwerk "Die dogmatisch-kanonische Struktur der Ökumenischen Orthodoxen Kirche", "Geschichte des Dermanskij-Klosters", "Alte Kirchen-Traditionen in Wolhynien" sowie einige andere Werke, die er unter verschiedenen Pseudonymen in verschiedenen Zeitschriften publizierte. Metropolit Nikanor war ein großer Kenner des kanonischen Rechts und anderer theologischer Disziplinen. Er verband gekonnt alte ukrainische orthodoxe Kirchentraditionen mit der Moderne. Er gehörte zu den besten Vertretern der vorrevolutionären Geistlichkeit. Er war ein großer ukrainischer Patriot, der sich vollkommen dem Dienst an seiner Ukrainischen Orthodoxen Kirche gewidmet hatte. (nach: Ridna Cerkwa - Ukrainisches Orthodoxes Kirchenblatt, NR. 78, Neu-Ulm 1969)